X „If somebody offers you a free service on the internet, most probably you are the product.“ - 
X Wenn Ihnen jemand einen Internetdienst kostenlos anbietet, dann sind Sie selbst sehr
X wahrscheinlich das Produkt. 



JAMEDA UNTER DRUCK
Zum Beitrag „Gefälschte und unechte Bewertungen:
Bundeskartellamt sieht Portalbetreiber in der Pflicht“,
zm 18/2020, S. 44


jameda gerät durch die spezielle Architektur seines Portals nun auch unter Druck des Bundeskartellamts. Das Portal weicht dieser Kritik durch zahlreiche Änderungen aus, zum Beispiel durch die Vorab-Benachrichtigung von Bewertungen auch für zwangsgelistete Teilnehmer. Diese „Neuigkeiten“ ändern aber nichts an der einfachen Manipulier barkeit von Bewertungsdurchschnitten. jameda möchte den Pelz waschen, ohne ihn nass zu machen. Tatsächlich gibt es nur zwei Auswege aus der lauterkeitsrechtlichen Falle:

1. Das Portal sucht sich eine andere Geldquelle. Damit wären endlich die Voraussetzungen für Neutralität geschaffen und man wäre DSGVO-kompatibel.
2. Man verzichtet auf die vollständige Arzt-/Zahnarztlistung und wird ein Werbeportal für Heilberufler mit Bewertungskomponente.

Denn wer den Web-Auftritt für zahlende Kunden optimiert – was jameda zweifelsfrei praktiziert – nimmt selbst am Wettbewerb teil. Unter diesen Umständen hat die informationelle Selbstbestimmung der Portalteilnehmer ein größeres Gewicht als die Informationsfreiheit des Portals, wie der ehemalige Vorsitzende des BGH und Lauterkeitsrechtsexperte, Wolfgang Büscher, in seinem wegweisenden Artikel über Bewertungsportale 2017 luzide dargelegt hat. Noch lebt jameda unverändert von seinen zahlenden Kunden und damit von der Diskrepanz der Bewertungsdurchschnitte auf Kosten der Nicht-Zahler.

Diese Diskrepanz lässt sich einfach steuern: In Zeiten zunehmender Kritik geht man mit Negativbewertungen generell restriktiv um und verkleinert damit den Unmut der Zwangsgelisteten. Wenn sich die Aufregung gelegt hat, zieht man die Daumenschraube wieder an. Die Rechtsanwältin Anja Wilkat sprach in diesem Zusammenhang von „Schutzgelderpressung“. Die aktuell geplanten Gesetzesänderungen bei Online-Bewertungen durch das BMJV werden diesem Spuk sicher ein Ende bereiten. Dabei sollte auch die Einführung der Klarnamen-Pflicht bei personenbezogenen Bewertungen berücksichtigt werden, damit Intrigen und Verleumdungen im Netz endlich ihre Grundlage verlieren.

Dr. Dr. Peter Gorenflos, Berlin
zm 110, Nr. 19, 1.10.2020



EIN FRAGWÜRDIGES GESCHÄFTSMODELL
Das Arztbewertungsportal Jameda hat zahlende Kunden, aber Nichtkunden werden zwangsgelistet. Daraus entsteht ein Zweiklassen-System.

BerlinerZeitung, Nr.87, Freitag,16.April 2021 – Seite16
Quelle

Peter Gorenflos

Jameda ist das vielleicht bekannteste, aber auch ein umstrittenes Arztbewertungsportal. Betrieben von der Münchner Jameda GmbH, die eine Tochter der Burda Digital GmbH ist, hat Jameda laut Ärzteblatt 65.000 registrierte Kunden und listet fast 280.000 Ärzte und Zahnärzte, die alle von Patienten bewertet werden können. Es liegen nach eigenen Angaben bereits zwei Millionen Bewertungen vor. Als niedergelassener Chirurg in Berlin fiel mir vor fünf Jahren auf, dass auf meinem Jameda-Profil zahlreiche Kollegen der gleichen Fachrichtung aufgeführt waren, die fast alle bessere Bewertungsdurchschnitte hatten. Diese waren, wie ich feststellte, ausschließlich Jameda-Kunden, und durch einen einfachen Klick erfuhr man sofort die Entfernung von meiner zu deren Praxis. Die Portal-Kunden selbst hatten keine konkurrierenden Vergleichspraxen in ihren Profilen.

Bessere Bewertungen

Daraufhin suchte ich im Internet nach dem Zufallsprinzip verschiedene Ärzte mit unterschiedlichen Facharztausrichtungen in verschiedenen Städten und wertete deren Jameda-Profil aus. Unter den 100 Jameda-Kunden, die ich herausgepickt hatte, waren kaum schlecht bewertete Ärzte, aber unter den 100 Nichtkunden viele. Mit dieser Vergleichsliste wendete ich mich unter anderem an den Datenjournalisten Tin Fischer, der daraufhin eine sehr viel größere Datenmenge mit 6500 Ärzten auswertete und am 18. Januar 2018 in der Zeit einen Artikel publizierte. Auch seine Recherche hatte ergeben, dass Jameda-Kunden die besseren Noten erhielten.

Noch am Vormittag der Veröffentlichung bekam der Autor eine E-Mail von der damaligen Jameda-Pressesprecherin, ob ich, Dr. Peter Gorenflos, den man bereits kenne, der Hinweisgeber zu diesem Artikel gewesen sei. Fünf Stunden später hatte ich eine „6“ in meinem Profil, die erst nach Einspruch meines Rechtsanwaltes wieder gelöscht wurde. Eine Kölner Dermatologin, Astrid Eichhorn, hatte Jameda wegen der Profil-Einblendungen ihrer Konkurrenz verklagt und kurz nach dem Zeit-Artikel vor dem BGH recht bekommen (Az. VI ZR 30/17), woraufhin diese Praxis eingestellt werden musste.

Es stellt sich die Frage, ob ein Bewertungsportal mit zahlenden Kunden und nichtzahlenden Zwangsteilnehmern neutral sein kann, und wie es mit der Echtheit von Bewertungen aussieht. In drei unabhängigen Stichproben haben WDR, RBB und NDR Passanten in Einkaufsstraßen verschiedener Städte gebeten, Bewertungen für Ärzte abzugeben, die sie gar nicht kannten, und alle diese Bewertungen wurden online gestellt. Jamedas Prüfalgorithmen sind zu einer tatsächlichen Echtheitsprüfung offenbar nicht geeignet. Das Smartphone-Foto einer Überweisung, eines Rezeptes oder einer Krankschreibung dieses Arztes auf den Namen der oder des Bewertenden wären dafür ausreichend. Die Angabe von Tag und Uhrzeit der Behandlung würde es dem Arzt ermöglichen, die Kritik zu prüfen, ohne die zur Zeit noch im Telemediengesetz garantierte Anonymität der Bewertenden aufzuheben. Offensichtlich ist das aber nicht erwünscht.

Wie steht es mit der Neutralität des Portals? Trotz eindeutiger Statistiken und beliebiger Stichproben, die alle das Gegenteil belegen, bekommt man von Jameda die mantrahafte Antwort: „Bezahlprofile haben keinen Einfluss auf die Bewertung und das Ranking.“ Von der Neutralität hängt es schließlich ab, ob das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und die Datenschutzgrundverordnung Anwendung finden. Jameda aber betreibt ein Werbeportal mit zahlender Kundschaft in Kombination mit einem Bewertungsportal, auf dem Ärzte auch ohne ihre Einwilligung gelistet werden. Und dort passiert natürlich, was passieren muss: Kunden haben in der Regel die besseren Noten. Und Patienten zwangsgelisteter Ärzte werden zu Gunsten zahlender Kollegen abgeworben.

Das ist standesrechtlich unhaltbar und lässt sich von jedem überprüfen. Man gehe auf der Website von Jameda auf den Link „Arztsuche“, dann zu einem beliebigen „Fachgebiet“ und sortiere die Ärzte unter „Mehr Filter“ nach den schlechten Noten 4, 5 oder 6. Bei „Relevanz“ gehe man aus statistischen Gründen auf „Anzahl der Bewertungen“. Jetzt findet man fast nur noch Ärzte ohne Profilfoto, also Nichtkunden. Selbst bei der Note 2 überwiegen noch die Zwangsgelisteten, denn bei dem großen Verdrängungswettbewerb unter Fachärzten, vor allem in Großstädten, muss man seinen Kunden schon etwas Besseres anbieten als eine nur gute Note.

Florian Weiß, Geschäftsführer von Jameda, erklärt indessen, dass alle Ärzte gleichbehandelt würden. „Kunden von Jameda mögen im Durchschnitt über mehr und bessere Bewertungen verfügen“, gibt er in einem Beitrag auf dem zahnärztlichen Nachrichtenportal zm-online zu. „Die Gründe hierfür jedoch in einer systematischen Bevorzugung durch Jameda zu suchen, ist falsch. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen, wie zum Beispiel: Ärzte, die bereits besonders zufriedene Patienten und damit gute Bewertungen haben, werden eher Jameda-Kunden; Ärzte, die Jameda-Kunden sind, weisen zufriedene Patienten auf die Möglichkeit der Bewertung hin; Ärzte, die viele negative Bewertungen erhalten, werden selten Jameda-Kunden usw.“ Tatsache ist, dass das Portal von zahlenden Ärzten lebt und daher einen Vorteil davon hat, wenn diese besser abschneiden. Dadurch werden Nichtkunden unter Druck gesetzt, ebenfalls überzulaufen.

Bewertungsdurchschnitte zugunsten von Kunden zu beeinflussen ist einfach, geschäftsfördernd und nicht kontrollierbar. Wie wird das gemacht? Schmähkritiken und Tatsachenbehauptungen von Patienten in den Bewertungen sind nicht zulässig, aber Jameda entscheidet offenbar selbst über diese dehn- und interpretierbaren Kategorien, solange kein Rechtsweg beschritten wird. Bei Kunden Negativkritik in der Regel zu blockieren – und sei es wegen der Geschäftsbedingungen –, bei Nichtkunden in der Regel zuzulassen, führt zu dem Ergebnis, zu dem auch der Zeit-Autor Fischer gekommen ist. Eine weitere Möglichkeit der Beeinflussung ist das Löschen von Positivbewertungen. Jameda kann auch hier willkürlich und selektiv vorgehen, denn wessen Positivbewertungen nachträglich geprüft werden und nach welchen Kriterien, das entscheidet das Portal selbst. Damit kann man Kunden unter Druck setzen, die kündigen wollen, weil sie Zweifel an der Korrektheit des Web-Auftritts bekommen.

Jamedas Geschäftsmodell wird auch durch das Lauterkeitsrecht in Frage gestellt. Der ehemalige Vorsitzende des Bundesgerichtshofes Wolfgang Büscher, ein Experte in diesem Feld, schrieb dazu in der Zeitschrift GRUR-Prax 2017 in dem Fachartikel „Soziale Medien, Bewertungsplattformen & Co“: „Verlässt der Betreiber des Bewertungsportals die mit der Stellung als Hostprovider verbundene neutrale Position und nimmt er gegen Entgelt aktiv durch Werbung oder Optimierung der Präsentation einzelner Unternehmer zu deren Gunsten am Wettbewerb teil, besteht kein Anlass mehr, seinen Interessen an einem möglichst vollständigen Überblick den Vorrang vor dem einzelnen Unternehmer an informationeller Selbstbestimmung einzuräumen. Der einzelne Unternehmer muss daher die Möglichkeit haben, sich auf dem Portal vollständig löschen zu lassen.“

Die Datenschutzgrundverordnung, gültig seit 2018, geht noch weiter. Bei einem Bewertungsportal, bei dem Parteilichkeit im Geschäftsinteresse ist, müsste jeder Teilnehmer – in diesem Fall jeder Arzt oder Zahnarzt – seiner Listung ausdrücklich zustimmen.

Ein Radiofeature des Südwestrundfunks vom Februar dieses Jahres („Faules Lob im Netz“) berichtet von einem Plastischen Chirurgen, dessen Jameda-Bewertung bis zum Entzug seiner Approbation mit der Bestnote 1,0 angegeben war. Schlechte Bewertungen des Jameda-Kunden, der von zahlreichen Patientinnen wegen Behandlungsfehlern bei Nasenkorrekturen und Brustoperationen verklagt worden war, seien vom Portal reihenweise gelöscht worden. In der gleichen Sendung berichtete ein Berliner Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg, wie einfach er als Jameda-Testkunde schlechte Bewertungen löschen lassen konnte. Ein kurzer Anruf bei der Jameda-Kundenbetreuung habe genügt. Als der Chirurg nach der kostenfreien Testphase keinen Vertrag bei Jameda abgeschlossen hatte, sei diese Möglichkeit weggefallen und es sei plötzlich sehr schwierig geworden, negative Bewertungen löschen zu lassen.

Weshalb verhalten sich die Berufskammern so zurückhaltend gegenüber einem Portal, dessen Geschäftsmodell geeignet ist, Patienten zu täuschen und die Ärzte- und Zahnärzteschaft der Bundesrepublik nach dem Motto „Wer zahlt, gewinnt“ zu korrumpieren? Weshalb hat die Kölner Dermatologin Astrid Eichhorn bei ihrem Prozess gegen Jameda so wenig Unterstützung von den Kammern erhalten? Weshalb fordern die Kammern nicht das Ende der Zwangslistung von Ärzten bei kommerziellen Portalen? Weshalb stellen sie nicht die entscheidende Forderung nach einer Klarnamenpflicht bei personenbezogenen Bewertungen? Weshalb haben Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung in der neuralgischen Frühphase sogar Werbung gemacht mit dem Clearingverfahren von 2010/2011 und Jameda die Note „gut“ erteilt, als längst klar sein konnte, welche Folgen ein Zweiklassenportal hat?

Im Aufsichtsrat der Deutschen Ärzte- und Apothekerbank sitzen zahlreiche Spitzenfunktionäre des Gesundheitswesens. Darunter befinden sich der ehemalige Vorsitzende der Bundesärztekammer, der Vorsitzende der Bundeszahnärztekammer, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der stellvertretende Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Die Bank erhält seit vielen Jahren Top-Rankings von Focus Money, einer einflussreichen und auflagenstarken Wochenzeitschrift aus der Burda-Gruppe. Und auch Jameda gehört zur Burda-Gruppe. Gibt es hier Interessenskonflikte?

Bequem und lukrativ

Jameda muss sich überlegen, ob es ein Werbeportal bleiben möchte. Dann muss es auf die vollständige Arztlistung verzichten. Oder ob es ein Bewertungsportal mit vollständiger Arztlistung sein will. Dann darf es auf keinen Fall Werbung, Optimierung der Web-Präsentation für Portalteilnehmer gegen Entgelt anbieten, weil es sonst selbst am Wettbewerb teilnimmt. Der Gesetzgeber geht zu Recht von der Parteilichkeit eines solchen Portals aus. Es müsste sein Geld ausschließlich aus anderen Quellen beziehen, zum Beispiel durch Werbung für Auto- oder Elektronikkonzerne. Das offenbar bequeme und lukrative Geschäftsmodell, das von der Rechtsanwältin der Kölner Dermatologin, Anja Wilkat, als „Schutzgelderpressung“ bezeichnet wurde, ist jedenfalls unhaltbar.

Mehrere Kollegen haben in der Zwischenzeit gegen ihre Zwangslistung bei Jameda geklagt. Alle aktuellen OLG-Urteile stehen unter Neutralitätsvorbehalt, und der Bundesgerichtshof wird sich ab Juni dieses Jahres mit genau dieser Frage erneut befassen.

Peter Gorenflos ist Chirurg in Berlin.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors